Martiniloben – Marlen Schachinger
Marlen Schachinger schreibt sich mit diesem Roman an der Gegenwart entlang, in der sich in einem fiktiven Dorf B., unweit der Hauptstadt (Österreichs), gleich mehrere Dramen ereignen.
Die Gegenwart, das ist die sogenannte Flüchtlingskrise, die in Österreich vor allem ab dem Sommer 2015 sicht- und spürbar wurde. Die Gegenwart, das sind terroristische Anschläge, die vermehrt auch europäische Städte treffen. Sie ist gezeichnet vom Wachsen der Angst und des Unbehagens in der Bevölkerung und vom aufflammenden Hass gegen die Fremden und auf jene, die die Fremden willkommen heißen.
Protagonistin Mona ist selbst eine Fremde im Dorf B. Die „Frau Professor“ pendelt in die Hauptstadt, wo sie am Institut für Philosophie lehrt. Im Dorf kümmerte sie sich um die dort untergebrachten Flüchtlinge, auf den Zugfahrten verfasst sie provokante Essays zur aktuellen Lage. Letzteres durchaus auch für ihren Freund Emil, der gerade seine Stelle und damit auch seine Lust auf Mona und die Beziehung verloren hat. Im alten Hof, den sie gemeinsam bewohnen, fühlt Mona sich dennoch zuhause und sicher.
Zu Beginn sind es auch „nur“ Drohbriefe, die sie erhält und die sie in einer Schublade ihres Schreibtisches stapelt. Doch ab dem Zeitpunkt, zu dem die neue Nachbarin Daniela im Hof ein- und auszugehen beginnt, wird die Bedrohung zunehmend diffuser und bringt Mona an ihre Grenzen. Nicht nur Emil macht sich aus dem Staub, auch der Kater verschwindet. Ein ehemaliger und ein Möchtegern-Liebhaber machen ihr zu schaffen. Bald hängen Monas Job und ihre Gesundheit an seidenen Fäden.
Gleichzeitig nehmen Angst, Gewalt und Gegengewalt im gesamten Land zu. So auch im Dorf B., das sich nichts desto trotz für das alljährliche „Martiniloben“ herausputzt. Die einzige Person, die Mona uneigennützig zur Seite steht, ist die geflüchtete Salma. Mit ihrer kleinen Tochter Rana zieht sie aus dem Asylquartier aus und bei Mona ein. Und schließlich ist sie es, die am Tag des Martinilobens zum Opfer wird.
Gesäumt von zwei Prologen, einem Epilog und einem Nachwort entfaltet sich die komplexe Handlung des Romans auf 500 Seiten. Neben zahlreichen Dialogen, inneren Monologen und Essays finden sich auch Ausschnitte eines Krimis, den die Protagonistin liest. So vermischen sich Realität und Fiktion auf mehreren Ebenen, so steuert das Politische wie das Private unweigerlich auf seinen tragischen Höhepunkt hin.
Spannend, schrecklich, kunstvoll. Eine Dystopie? Das bleibt zu hoffen!
Barbara Rieger, 2016
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich.
Marlene Schachinger: Martiniloben
Wien: Septime Verlag, 2016
504 Seiten
EUR 24,00
ISBN: 978–3902711588