Erzählung aus dem Osten – Auslandsstipendium in der Hohen Tatra
Ein Rückblick von Daniela Meisel
Die Hohe Tatra lädt mich in eine andere Zeit. Das Massiv steigt aus der Steppe, zu seinen Füßen Reitervölker, die auf schwarzen Pferden zwischen Staubwolken galoppieren. Unter dem Blick des Gebirgszugs ist die Modernität der Stadt Poprad nur eine Behauptung.
Die Schnellstraße schneidet quer durch die Landschaft, ich folge ihr den Hang hinauf, den zwischen Steppe und Baumgrenze ein Mischwald bekleidet. Der Oktober setzt die Blätter in Braun, Rot und Gold.
Die Häuser sind quer zur Hangrichtung in den Wald gewürfelt. Dörfer lose über eine von Touristen frequentierte Straße verbunden und trotzdem spüre ich unter der dünnen Decke der Zivilisation das Pulsen der Erde.
Das Schriftstellerhaus trägt den Namen Timrawa – eine alleinstehende Autorin des 19. Jahrhunderts, die den Slowaken Spuren ins kollektive Gedächtnis geschrieben hat – und ich fühle mich als Künstlerin willkommen. Der Ort wird in diesem Monat zu meinem zweiten Schreib-Zuhause.
Auch die Nacht schenkt Blicke in ein Leben, das mit der Natur ging. Vor dem Haus steht ein Müll-Container und an den Abenden machen sich Braunbären daran zu schaffen.
„It´s stupid to wait for the bear!“, schüttelt ein Gast seinen Kopf, aber ich lasse mich nicht abbringen, laufe hundert Mal zum Fenster, sehe Hirsche, Füchse, Dachse am Haus vorbei spazieren und endlich die Bären.
Heute ist es eine Mutter, die wie ich ihren Dreifach-Nachwuchs zu versorgen und bespaßen hat – dafür kommt ein Müll-Container voll klimpernder Dosen und Reste slowakischer Hausmannskost gerade recht – und ich fühle mich ihr seltsam verbunden. Die kleinen Bären entzücken mit ihrer Verspieltheit, stellen sich bei jedem Geräusch erschrocken auf die Hinterpfoten, und die Tiere klettern in meiner Beliebtheitsskala weit an die Spitze.
Manchmal ist es einsam in meinem Zimmer unter dem Dach, aber die meiste Zeit genieße ich den Schreibfluss, den nur die regelmäßigen Mahlzeiten der engagierten Köchin unterbrechen. Wenn ich um kleinere Portionen bitte, lacht sie und klopft sich auf ihren stattlichen Bauch. Auch Kellnerin und Hausbesorgerin sind um ihre Gäste bemüht und die Wertschätzung, die schreibenden Menschen hier entgegengebracht wird, tut gut.
An zwei, drei Tagen entlockt mir der Gebirgszug seltene Gedichte und ich plane beim Abschied einen Besuch mit meiner Familie. Die Hohe Tatra hat sich in mein Herzbuch geschrieben. An dunklen Tagen blättere ich darin und über die Gipfel fällt das Licht in den Raum.
Daniela Meisel ist Autorin, Biologin und Schreibpädagogin. Für ihre Romane und Kinderbücher erhielt sie Stipendien und Preise, zuletzt den Kulturpreis des Landes Niederösterreich.
Ihr Aufenthalt in Stary Smokovec wurde durch das Land Niederösterreich gefördert.
An dieser Stelle wird das Stipendium des Literaturhauses und Landes NÖ für Stary Smokovec im Frühjahr 2019 wieder ausgeschrieben.