Die Affäre geht über 12 volle Seiten
Ein Text von Roswitha Rosenberger aus MOSAIK
Die Affäre geht über 12 volle Seiten
12 ganze Seiten ihres roten Buches beansprucht diese Episode. Wie verrückt das Ganze war, merkt sie jetzt beim Lesen. Schön und aufregend war sie, diese erste Begegnung auf Seite 1. Was anfangs so unbefangen und leicht begann, wurde mit jeder Seite intensiver und aufregender. Schon auf Seite 3 wollte er mehr. Wollte sie das auch? Sie brauche noch etwas Zeit, erklärte sie ihm. Sie kannte ihn doch kaum. Worauf er auf Seite 4 Schluss machte. Er machte Schluss mit ihr? Konnte er das so einfach tun? Nun tat es doch weh, zwischen Seite 4 und 5. Mehr als sie sich eingestehen wollte. Was dachte er sich eigentlich dabei, ihr diese Chance nicht zu geben. Sie wollte ihn besser kennenlernen, mehr von ihm wissen. Und jetzt, einfach aus.
Seite 5 vollbrachte das Wunder und holte ihn zurück aufs Papier. Er möchte mit ihr zusammen sein, mit ihr Zeit verbringen. Und dieser vielversprechende Kuss, der unbändiges Herzflattern verursachte, ließ sie dahinschmelzen. Sie schwebte auf Wolke 6 – 7 oder besser auf den Seiten 6 – 7 ihres Buches. Mein Gott, sie war verliebt. 2 volle Seiten dauerte dieser Zustand an. Doch dann Seite 8, ein dramatisches Ende. Seite 8 verlangte ihr wirklich alles ab. Er misstraute ihr, aus welchem Grund auch immer. Sie hatte ja nur getanzt, mit ihrer Freundin, da er keine Zeit gehabt hatte. Er wolle sich das nicht noch einmal antun, meinte er. Bitte lass doch 8 nicht so zu Ende gehen. Ausgerechnet 8, ihre Glückszahl.
Und dann Seite 9, er verzieh ihr, wie er behauptete, weil er sie liebte. Aber was denn, zum Teufel? Es gab nichts zu verzeihen. Doch sie war verliebt und die Welt drehte sich weiter um ihn und sie schenkte ihm 3 neue erwartungsvoll leere Seiten ihres Buches. Es war ein fortwährendes auf und ab der Gefühle. Er liebte sie, er misstraute ihr. 9, 10, 11 – und noch immer kein Happy End. Würde es das je geben, mit ihm? Wie viele Seiten sollte sie dieses hin und her noch kosten? Es sei schade um jedes Blatt, meinte ihre Freundin. Seite 12, sie atmete tief durch. Was nun? Ihre Freundin hatte recht. 12 war eine gute Zahl und genau richtig, um „Leb wohl“ zu sagen. Sie erzählte das Ende einer aufregenden Affäre. Fortsetzung ausgeschlossen, denn Seite 13 blieb leer, endgültig.
Weitere Texte von Roswitha Rosenberger finden sich in der Lehrgangspublikation „Mosaik“ (herausgegeben von Martina Bachtrögler und Sabine Wagner-Fassmann), die im März 2019 bei Fabrik Transit erscheint und bei der Abschlusslesung am 16. März im BÖS präsentiert wird.
Roswitha Rosenberger
Geboren 1965, lebt in Niederösterreich im Bezirk Melk. Als verheiratete Mutter von zwei erwachsenen Kindern nimmt sie sich jetzt mehr Zeit und Raum zum Schreiben. Diese Schreibfreude teilt sie seit mehreren Jahren mit Gleichgesinnten in verschiedenen Workshops, um für sich neue Schreibwege zu eröffnen.
Sie ist Teilnehmende des Lehrgangs Schreibpädagogik 2018/2019.