Eine wie ich
Ein Text von Britta Mühlbauer
Das Taxi braust durch die Nacht davon. Die Reifen rumpeln durch Schlaglöcher. Unter jeder Straßenlaterne sehe ich die Beule im Dach aufleuchten. Ich strecke den Mittelfinger hoch und schicke dem Fahrer sein Trinkgeld hinterher.
Seit ich am Busbahnhof eingestiegen war, grapschte sein Blick nach mir. Er sprang zwischen meinem Busen und dem Mal in meinem Gesicht hin und her, schwankend zwischen Neugier und Geilheit. Über den Rückspiegel versuchte er mich auszufragen, woher ich käme, ob ich hier Urlaub machte. Seine Rechte lag auf der Schulter des Beifahrersitzes. Immer wieder drehte er sich zu mir um.
„Watch the road“, sagte ich.
Er grinste. „You stressed. I got somethin‘ for ya.“ Ich solle mit ihm zum Strand fahren. Er habe dope dabei. „What do ya say?“
Ich sagte nichts und konzentrierte ich mich auf seine Nackenstütze. Sie hatte ein Fenster, durch das ich die Grube seiner Schädelbasis sah. Die Mündung eines Naglers genau dort ansetzen. Abdrücken, bevor er weiß, wie ihm geschieht. Der Nagel durchtrennt das Rückenmark, zerfetzt das Stammhirn, Atemstillstand. Ein bisschen Blut im Nacken, eine Beule auf der Stirn, eine Spitze, die von Ferne aussieht wie ein Pickel. Keine Sauerei im Wagen. Die Leiche am Strand entsorgen. Ich begann, das Alphabet von hinten aufzusagen, wie ich’s im Kampfsporttraining gelernt hatte. Das fokussiert den Geist und beruhigt die Nerven.
Mich hätte eine wie ich im Nacken nervös gemacht. Der Fahrer plapperte weiter und fiel mir mit seinem geflickten Englisch auf die Nerven. Er wusste nicht, wie viel Glück er hatte. Ich bin nicht bewaffnet (der Nagler liegt sicher in seinem Versteck), ich darf nicht auffallen und ich bin müde von vier Wochen Flucht. Der Stinkefinger ist die einzige Eskapade, die ich mir leiste, hier, am Ziel meiner Reise.
Die Bremslichter leuchten auf, der Wagen hat gestoppt. Männer sind empfindliche Wesen, sagt Hanna. Je rücksichtsloser das Auftreten, desto verletzlicher die Seele. In der Mitte der Straße stehend warte ich auf das Aufleuchten des Rückscheinwerfers, das Zurücksetzen des Wagens. Ich stemme die Fäuste in die Taille. High noon. Die Bremslichter verlöschen, der Wagen fährt weiter, blinkt und biegt ab. Feigling. Ich schleudere ihm einen Stein hinterher.
Britta Mühlbauer, Oktober 2019
Ausschnitt aus: Inventurdifferenz. Britta Mühlbauer
Britta Mühlbauer: Inventurdifferenz
Deuticke Verlag. Wien, 2013
384 Seiten
EUR 15,99
ISBN 978–3‑552–06237‑5
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Britta Mühlbauer unterrichtet im Workshop „Weiter schreiben, fertig schreiben“ am 9./10. November 2019
Foto: Ela Angerer