Richtig Reisen: Architektur II
Ein Text von Erika Kronabitter
WC ist Architektur. Architekturen. Wer reist, kennt viele WCs von innen und außen. WCs sind neben Imbisslokalen die wichtigsten Örtlichkeiten im öffentlichen Raum. Vielleicht sogar die wichtigsten. Einen Imbiss können Sie in der Tasche mitnehmen. Ein WC nicht. Da nützt Ihnen auch keine Klopapierrolle, die Sie mit sich herumtragen. Wenn kein WC in der Nähe ist, nützt keine Serviette als Reservepapier, kein Papiertaschentuch. Trotzdem sind WCs eine Randerscheinung.
WCs interessieren mich nicht, sagt die Architektur.
WCs sind irgendwo in den untersten oder hintersten Bereich eines Gebäudes hineingepferchte Kabäuschen. Auf dem Plan gab es gerade hier noch freien Raum. Eine optimale Nutzung, jubiliert die Architektur.
Die Anlage ist schlecht belüftet, ungepflegt. Nur über sechs Treppenabgänge und fünf Biegungen erreichbar. In Großbahnhöfen ungenaue oder in die Irre führende Beschilderung. WCs als Hurenkinder der Architektur.
Hab dich nicht so, sagt die Architektur. WCs sind nicht repräsentativ. WCs sind nur ein Muss. (Es wird nicht gesagt: WCs sind ein Muss!) Ein unliebsames Muss. Ein stilles Örtchen, in welchem es beileibe nicht still ist. Die Architektur sollte wissen, wie laut es in diesen stillen Örtchen zugeht. Ich kann nicht auf alle Bedürfnisse der BenutzerInnen Rücksicht nehmen, sagt die Architektur. Es gibt Leseinseln, Erlebnisinseln, Erholungsinseln, Einkaufsinseln. Damit bin ich beschäftigt. Ich habe Vorgaben. Die Wirtschaft ist anspruchsvoll.
Warum machst du keine userfreundlichen Toiletteninseln, sage ich. Anstatt einzelne für sich abgeschlossene Toiletteninseln, in welchen eine Jacke aufgehängt, der Rucksack abgestellt werden kann, planst du dünne grüngefärbte Glasscheibchen und ebensolche Glastüren! Gerade nur noch Sichtschutz zwischen den einzelnen WC-Schalen! Hast du dir einmal überlegt, wie sich die Benutzerinnen fühlen? Wenn sie pinkeln wollen. Noch schlimmer: wenn sie Bauchweh haben! Wenn sie die sechs Treppenabgänge hinuntergestürzt, die fünf Biegungen geschafft und endlich die Toilette abgeriegelt haben: In deinen Toiletten vergeht schlagartig jedes dringende Bedürfnis. Jeder könnte jederzeit von unten links oder von unten rechts in mein Klo blicken. Würde sich jemand auf den Boden knieen.
Könnte, aber tut es nicht. Niemand blickt von unten ins nächste Klo, sagt die Architektur und macht sich lustig über die Bedenken. An solchen Ballungsorten stinkt‘s. Das mache ich, damit die WCs gut belüftet werden. Ich muss mich anpassen. Die Reinigungsmaschinen, du verstehst. Es muss alles hygienisch sein.
Was machst du für mich, frage ich. Ich will auf der Toilette furzen. Richtig furzen. Wenn es keinen abgeschlossenen Raum für mich alleine gibt, leide ich an Verstopfung. Ein schlagartiger Verstopfungsanfall. Du bist schuld an Verstopfungen, Panikzuständen und dem peinlichen Angstgefühl, von allen angestarrt zu werden.
Du bist hypersensibel, sagt die Architektur. Für Reisen bist du nicht geschaffen. Bleib daheim.
Erika Kronabitter, Oktober 2019
Ausschnitt aus: Erika Kronabitter, „Endlich alles richtig”, Verlag beim Augarten, Edition Taschenspiegel, Wien 2015
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Erika Kronabitter unterrichtet den Workshop „Schreiben mit SeniorInnen“ am 23./24. November 2019
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