Materialkunde
Ein Text von Christa Nebenführ
Ha! denke ich, ha ha ha ha! Material!
Oder auch: Wenigstens Material!
Ich denke es nicht, wenn jemand gestorben ist. Das ist mir entweder egal oder es höhlt mich so aus, dass mir das Denken vergeht.
Obwohl: manche Tode haben durchaus etwas mit Material zu tun. Oder manche Toten. Nämlich die, die während ihres Lebens sehr viel davon angehäuft haben.
Die zentrale Figur meiner Wut und Angst, meines Liebeshungers und Überdrusses hat verschiedenes Gerümpel in der Ecke eines Zimmers aufgeschlichtet und mit einem großen Überwurf bedeckt. Das ist keine Metapher, sondern die Praxis.
Die Figur ist männlich. Ansonsten wandelbar.
Kann man denken bevor man sprechen kann?
Nein.
Kann man sich erinnern, bevor man denken kann?
Nein.
Denkt man Erinnerungen?
Ja.
Deckt man Erinnerungen?
Auch das.
Das Material, Erinnerungsmaterial, Erzählungsmaterial, welches das Leben abwirft, ist von einem Überwurf bedeckt, an dem die Dichterin zupft und zieht.
Distanzlos, sagen die einen.
Provokant, sagen die anderen.
Was geht das dich an?
Das geht dich nichts an!
Gib Ruhe.
Ein Kuss – Material.
Ein Schlag – Material.
Eine durchwachte Nacht – Material.
Eine durchweinte Nacht – wenigstens Material.
Eine durchzechte Nacht – immerhin Material.
Das Material ist spröde.
Es sträubt sich gegen das Verbiegen und bricht.
Welcher Kuss? Kam danach nicht der Schlag? Oder davor?
Gab es einen Zusammenhang?
Finde ich diesen?
Erfinde ich ihn?
Ist eine Braut hinter dem Schleier, eine Leiche unter dem Tuch?
(Wann) darf ich das Tuch, den Schleier lüften?
Die Braut – Material.
Die Leiche – Material.
Das Tuch?
Aus „Die Kunst, sich in 26 Richtungen gleichzeitig zu sträuben.“, Edition „Das fröhliche Wohnzimmer“ (17. Jänner 2018).
Christa Nebenführ unterrichtet beim BÖS:
„Authentizität, ein Begriff und eine Erfahrung“, 1./2. Februar 2020, leider ausgebucht.
„Spannungsaufbau“, 17./18. Oktober 2020
„Rhetorik für AutorInnen“, 20./21. Februar 2021
„Authentizität, ein Begriff und eine Erfahrung“, 20./21. März 2021