„Immer mehr Menschen leben in einer Scheinwirklichkeit“
Ein Interview mit Petra Ganglbauer
Die Corona-Gegenwart erlebt eine Hoch-Zeit an Internet-Performances. Denn solange Kultur im öffentlichen Raum, wie wir ihn bis jetzt kannten, nicht stattfinden darf, bahnt sich Kreativität ihren virtuellen Weg. Wir fragen unsere DozentInnen nach ihrem Verhältnis zum Internet.
BÖS: Ist das Internet für dich mehr Fluch oder mehr Segen?
Petra Ganglbauer: Es ist gewissermaßen beides. Für kurzfristige Recherchen oder auch für das Einholen von Informationen ist es ein gutes Medium. Ebenso eignet es sich beispielsweise für das das Herunterladen von Literatur-Podcasts oder auch interessanten Sendungen im Fernsehen bzw. Musik oder Dokumentationen. Das sind schon Möglichkeiten, die früher undenkbar gewesen wären. Man ist heute dadurch nicht mehr so sehr an Raum und Zeit gebunden und kann auch spontaner agieren. Freilich sind die mit dem Gebrauch des Internets verbundenen gesellschaftspolitischen Gefahren nicht außer Acht zu lassen! Die manipulativen massenmedialen Mechanismen haben sich in den letzten Jahren potenziert, sie verzerren Informationen und Tatsachen, und es ist bisweilen in der Tat schwierig, das Seriöse vom Unseriösen zu unterscheiden. Ganz zu schweigen von Cyberkriminalität oder der Gefahr der Abhängigkeit, verbunden mit einen nicht zu unterschätzenden Suchtpotenzial. Immer mehr Menschen leben im virtuellen Raum (in einer Scheinwirklichkeit) und schotten sich mehr und mehr von der physischen Realität ab.
BÖS: Wann verwendest du für Deine Arbeit das Internet?
Petra Ganglbauer: Wie schon angesprochen, beruflich für Recherchen, für PR-Zwecke und zur täglichen Kommunikation. In diesen Kontexten täglich. Punktuell dann etwa um ein Hörstück nachzuhören oder eine versäumte TV-Sendung anzusehen. Das jedoch eher selten.
BÖS: Wie stehst du zu den Themen Home-Schooling und Home Office?
Petra Ganglbauer: Also ich wage jetzt einmal zu behaupten, dass (freischaffende) AutorInnen und KünstlerInnen ohnehin ständig im Home Office arbeiten, weil wir uns – über die kreative Arbeit hinaus – ständig selbst managen und auch unsere PR-Arbeit selbst machen müssen: Wir organisieren, korrespondieren, telefonieren, notieren, mailen, versenden Post usw. Da hat sich auch in Corona-Zeiten nichts geändert, außer dass viele KünstlerInnen und AutorInnen derzeit unter prekärsten Bedingungen leben und arbeiten (so sie Arbeit haben) müssen.
Was Home-Schooling betrifft, so ist das etwas, das in letzter Zeit an Notwendigkeit gewonnen hat; auch in der Schreibpädagogik werden ja Webinare angeboten; ich würde sagen, komplementär sind sie hilfreich, auch um Krisen, wie diese, durchzustehen aber letzthin kommt es auch sehr auf die persönliche Begegnung, den direkten Austausch, die energetische Qualität beim Lernen und Lehren an. Ich denke aber, dass Home-Schooling eine ergänzende Form des Unterrichtens bleiben wird. Sonst wäre es so, als würden wir jene Strecke, die wir geradezurückgelegt haben, wieder retour gehen.
BÖS: Kommt in deiner idealen Welt das Internet vor oder geht es ganz ohne?
Petra Ganglbauer: Es geht bisweilen sehr gut ohne. Das ist dann wie ein ganz tiefes Atem-Holen, ein Retreat, der Kraft spendet.
18. Mai 2020
Petra Ganglbauer leitet den Online-Workshop „Schreiben als Achtsamkeit“ am 23. Mai 2020.
Foto: Peter Bosch