Fasziniert vom scheinbar Selbstverständlichen
Ein Interview mit Gabriele Kögl
Autorin Gabriele Kögl fasziniert an der Provinz die Sprache, die sie als codiert empfindet und deren Enträtselung sie mit der Arbeit eines Ägyptologen vergleicht.
BÖS: Was unterscheidet eine Satzbäuerin von einer Satzschmiedin?
Gabriele Kögl: Eine Schmiedin ist eine Metallgestalterin, die Bäuerin ist eine Erdgestalterin. Die Metallgestalterin arbeitet mit bereits vorgefertigtem Material, das verfeinert und in eine bestimmte Form gebracht wird. die Satzbäuerin geht es erdiger an, ist vielleicht näher an der Wurzel, muss ihre Sprache immer wieder neu anbauen und schauen, was da wächst und ob es wächst. Ich denke, die Bäuerin hat mehr Risiko zu tragen, weil die Materie weniger berechenbar ist, mit der sie arbeitet. Ihre Arbeit ist Hochwasser und Dürre ausgesetzt, sie hat keine gemütliche Schmiede, in der sie herumklopfen und biegen kann. Die Satzbäuerin muss nach jeder Arbeit bangen und hoffen, dass die Saat aufgehen möge. Sie setzt sich auch immer wieder dem naiven Blick aus, mit dem sie alles anschaut, und der sie immer wieder zum Staunen bringt. Ich erinnere mich, als meine Tochter klein war, war ihr Lieblingsbilderbuch eine Bohne, die gepflanzt wird und wächst. Aus. Keine Pointe. Und trotzdem war meine Tochter jahrelang fasziniert von diesem Buch, weil sie so staunen konnte darüber, dass eine Bohne in die Erde gesteckt wird, sich dann daraus herausbohrt und selber zu einer Pflanze wird, aus der wiederum Bohnen wachsen. Eine Geschichte darüber hinaus war nicht notwendig, um sie zu begeistern. Dieses Fasziniertsein über das scheinbar Selbstverständliche und Alltägliche möchte ich mir bewahren und immer wieder mitnehmen in meine Geschichten.
BÖS: Deine Bücher sind in der Provinz angesiedelt. Was macht Provinz so spannend?
Gabriele Kögl: Nicht alle meine Bücher. Ich habe auch drei Stadtromane geschrieben. Die Provinz hat eher mit mit meiner Kindheit zu tun. Ich mag den naiven Blick, wie schon oben beschrieben, mit dem man ganz neu und unverbildet auf etwas schaut. Und der ist mir aus der Kindheit geblieben und er ist geprägt von meiner frühen Wahrnehmung in der Provinz. Außerdem kenne ich mich dort im Detail aus. Ich war immer neugierig und habe gerne Geheimnisse ergründet, von denen es unzählige gibt. Daher ist die Provinz auch so spannend. Das Angewiesensein auf Nachbarschaft, ob sie einem gefällt oder nicht, ist wie eine erweiterte Familie. Weil man es sich kaum leisten kann, auf Nachbarschaftshilfe und soziale Nähe zu verzichten, wird vieles toleriert und unter den Tisch gekehrt, was eigentlich nicht toleriert werden sollte. Aber in der Sprache äußert es sich, weil der Mensch es schwer aushält, Geheimnisse zu wissen und für sich zu behalten. Daher ist die Sprache auf dem Land sehr codiert, da muss man genau hinhören, was gesagt und vor allem nicht gesagt wird und durch das Nichtsagen beziehungsweise die vielen Hinweise darauf, nichts zu sagen, trotzdem gesagt wird. „Ich sag nichts“, ist zum Beispiel einer der häufigsten Sätze auf dem Land, die gesagt werden. Da muss man oft durch die Wörter und Pausen hindurchhören, um das Wesentliche zu ergründen. Die Sprache der Provinz zu enträtseln war für mich so spannend wie vielleicht für einen Ägyptologen das Enträtseln der Hieroglyphen.
BÖS: Was bedeutet Überlebenswillen in Corona-Zeiten?
Gabriele Kögl: Zum Beispiel eine Online-Lesung zu machen. Sich allein vor den Computer zu setzen und etwas vorzulesen, dabei so zu tun, als hätte man ein Live-Publikum, dessen Reaktion auf den Text man wahrnimmt, spürt, und doch die Einsamkeit beim Lesen zu ertragen und zu hoffen, dass es irgendjemanden gibt, der sich hinsetzt und das hören und sehen will, wenn es gestreamt wird.
Der Literatursalon mit Gabriele Kögl, Rhea Krčmářová und Christian Futscher findet am 5. Dezember ab 17:30 Uhr als Livestream statt.
Foto: Gerhard Peyrer