Von der eigenen Denkart profitieren
Ein Interview mit Christa Nebenführ
Wer bereit ist, mehr als drei Schritte zur persönlichen und authentischen Schreibweise zu gehen, ist im Workshop von Christa Nebenführ genau richtig.
BÖS: Heutzutage sollte ja jeder authentisch sein, weil authentisch auch irgendwie attraktiv bedeutet. Wie trägt Authentizität zur Attraktivität von Texten bei?
Christa Nebenführ: Authentizität ist ein ähnlich diffuser Begriff wie Liebe, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit oder psychischen Diagnosen. Seine – vage – Bedeutung ist wechselhaft und kann, wenn überhaupt, nur kontextabhängig konstruiert werden. Wir können ihn nur umkreisen und einzelne Aspekte auf ihre Attraktivität für unsere jeweilige individuelle Arbeit untersuchen. Kunst im weitesten Sinn ist immer ein Erforschen und Ausloten. Das Workshop ist so aufgebaut, dass am ersten Vormittag Theorien zum Begriff der Authentizität in der Literatur gemeinsam erarbeitet und reflektiert werden. Der Nachmittag ist der “Textproduktion” gewidmet, bei der im anschließenden Feedback von allen an allen Texten analysiert wird, ob die beabsichtigte “Authentizität” sich auch Lesenden beziehungsweise Zuhörenden erschließt. Der zweite Vormittag ist einer Übung gewidmet, die ich bei George Tabori gelernt habe, und bei der die TeilnehmerInnen nach einer Entspannungsphase von mir in einen Phantasierahmen geführt werden, den sie selbst “ausmalen”. In vielen Fällen entsteht dadurch ein neuer, tieferer Zugang zum am Vortag bearbeiteten Thema, allerdings nicht immer. Nach einer zweiten Schreibphase richten wir unser Augenmerk auf die Veränderung im Schreibprozess.
BÖS: Woran kann man selbst erkennen, ob eigene Texte authentisch sind?
Christa Nebenführ: Gar nicht.
BÖS: Welche/n Schriftsteller/in findest du persönlich authentisch?
Christa Nebenführ: In willkürlicher Reihenfolge: Joseph Winkler, Jean Genet, Edo Popovic, Sylvia Plath, Juri Hudolin, Ivana Sajko, Guy de Maupassant, Stendhal, Ingeborg Bachmann, Henri Marivaux, Heinrich Heine, Friedrich Schiller, Chris Kraus, JJ Bola, Margit Schreiner, Anna Mitgutsch und sehr viele andere. Allerdings bedeutet das nicht, dass ich jedes ihrer Werke als authentisch empfinde, aber mindestens eines. Literatur ist ein komplexes Phänomen und lässt sich nicht in Zahlen vergleichen wie viele sportliche Disziplinen. Ich finde den Roman von Eva Heller “Beim nächsten Mann wird alles anders”, der zu Beginn der 1980er Jahre das Genre der “Chicklit” begründet hat, beispielsweise authentisch. Ich finde die meisten der darauf folgenden Apologetinnen (eine Ausnahme bildet dabei beispielsweise Maria Lewycka) nicht authentisch, sondern eher nach Instant Anleitungen eine Zielgruppe bedienend (ein Beispiel dafür ist Hera Lind). Der Workshop führt nicht in drei oder mehr Schritten zu einer authentischen Schreibweise (wie das meines Erachtens auch nicht bei Anleitungen wie: In 10 Schritten zum Erfolg, zur gelungenen Partnerschaft und so weiter funktioniert), sondern bietet die Möglichkeit von meinem jahrzehntelangen Nachdenken – unter Zuhilfenahme des Denkens vieler anderer, mehr oder weniger berühmter DenkerInnen – im Sinn der Weiterentwicklung der eigenen Denkarbeit zu profitieren.
BÖS: Am 15.02.2023 ist dein Roman „Den König spielen die anderen“ im Klever Verlag erschienen. Welchen Stellenwert nimmt Authentizität darin ein?
Christa Nebenführ: Hoffentlich einen großen. Es handelt sich dabei um eine überwiegend autofiktionale Erzählweise mit wenigen Elementen, die zum Schutz lebender Personen verfremdet wurden. Wichtig ist dabei aber, dass die Auswahl und Zusammenstellung einzelner Fragmente (poetisch-lyrische Passagen, Dokumente, narrative Episoden) einen Eindruck zu evozieren versuchen, der über das bloß Erzählte, ja über die Sprache selbst hinausgeht.
Christa Nebenführ leitet den Workshop “Authentizität, ein Begriff und eine Erfahrung“ am 20./21. Mai 2023. Anmeldungen unter office@boesmail.at
Foto: Dominik Hillisch