Sprache orientiert sich an der Konvention
Ein Interview mit Ip Wischin
Es gibt kaum einen passenderen Zeitpunkt für einen Drehbuchworkshop als am Wochenende der Oscar-Verleihung. Was die dort Nominierten und Ausgezeichneten schon können, vermittelt Ip Wischin in seinem Workshop.
BÖS: Inwiefern unterscheidet sich die Grammatik einer visuellen Sprache von der Alltagssprache?
Ip Wischin: Die Alltagssprache ist geleitet durch die Prinzipien der Semantik, während eine visuelle Sprache eher hermeneutisch dekodiert werden muss. Der Gedanke, dass es eine allumfassende Struktur für alle Arten von Zeichen existiert, geht auf den Schweizer Linguisten Ferdinand de Saussure zurück, dessen Theorien aber mit Aufkommen der Sprachphilosophie durch Frege, Wittgenstein, Davidson, Tarski und anderen weitgehend als widerlegt gelten. Dennoch haben einige französische Philosophen in Unkenntnis dieser Strömungen die Ideen des Strukturalismus in ihr analytisches Werk aufgenommen, allen voran Roland Barthes, dessen Ideen an den Filmakademien nach wie vor Verbreitung finden. Der Gebrauch der Sprache orientiert sich an der Konvention und beruht insbesondere im Alltag auf Gegenseitigkeit. Film muss sich den Bedeutungsgehalt seiner Bilder erst von Fall zu Fall erschaffen, wenn er nicht in puren Symbolismus abgleiten will. Die Abbildung einer Pfeife bedeutet nicht unbedingt »Pfeife«, sondern vielmehr im Gegenteil, das wofür die Pfeife steht. Im Film ist ein Berg alles – nur kein Berg.
BÖS: Das Lernziel des Workshops ist filmisches Denken. Wie kann man das lernen?
Ip Wischin: Filmisches Denken bedeutet eben, die Zeichen als solche zu erkennen und zu verstehen, wie sie beim Rezipienten ankommen werden. Wie zeige ich, dass das blinde Mädchen den Vagabunden für einen reichen Mann hält? Eine Filmschule, die diesen Namen verdient, wird eine Methodik präsentieren, gemäß derer man Antworten auf Fragen nach der Art »wie zeige ich …« finden kann.
BÖS: Was sind die häufigsten Fehler beim Schreiben von Dialogen?
Ip Wischin: Beim Schreiben von Dialogen wird oft der Versuch unternommen, dem Publikum die Handlung zu vermitteln, sodass die Figuren eigentlich nicht miteinander sondern mit dem Publikum sprechen. Die Regel aber sollte lauten: die Story erzählst du visuell, mit dem Dialog charakterisiertest du die Figuren.
Ip Wischin leitet den Online-Workshop “Film als visuelle Sprache – ein Drehbuchworkshop für Film und Multimedia“ am 25./26./27. März 2022.