Um Geheimnisse herum schreiben
Ein Interview mit Britta Mühlbauer
Genreliteratur muss nicht per definitionem platt, geistlos und sprachlich uninteressant sein. In ihrem Fantasy-Workshop hilft Britta Mühlbauer den TeilnehmerInnen, alltägliche Erfahrungen mit fantastischen Elementen anzureichern.
BÖS: Inwieweit unterscheiden sich Phantasie und Fantasy?
Britta Mühlbauer: Fantasy, als Teil der Fantastik, hat eine Vorliebe für die Vergangenheit, für Mythen, Sagen, Märchen, Volksglauben, magische Erzählungen. Elfen, Drachen, Zauberer, fiktive Herrschergeschlechter, strahlende Helden, fiese Bösewichte, Fabelwesen … bevölkern einen oft zeitenthobenen Kosmos abseits unserer Realität. Damit das nicht langweilig und unoriginell wird, bracht es Phantasie.
Andererseits kann sich unsere Phantasie viel mehr vorstellen als Fantasy-Welten. Sie kann zum Beispiel unseren Alltag mit fantastischen Elementen anreichern. Das ist der Aspekt des Fantastischen, auf dem der Schwerpunkt im Workshop “schaurig und fantastisch” liegen wird. Wenn man das Fantastische und das Alltägliche so vermischt, dass der Alltag fantastisch und das Fantastische alltäglich werden, erhält man einen schrägen Blick auf die Welt, sieht manches in anderem Licht und stößt vielleicht unverhofft auf neue Erkenntnisse.
BÖS: Oft wird Unheimliches durchaus geheim gehalten. Wie drückt sich Unheimliches aus im Schreiben?
Britta Mühlbauer: Das Unheimliche ist irrational und angsteinflößend. Wer ihm begegnet, reagiert mit Skepsis, Zweifel, Angst, Verleugnung, Aggression. Jemand anderen ins Vertrauen zu ziehen ist schwierig, weil es Überzeugungsarbeit braucht. Nicht zuletzt muss man sich selbst davon überzeugen, dass das Unheimliche real und nicht Einbildung ist. Dass man also nicht den Verstand verloren hat.
Dementsprechend wird das Unheimliche nur in Andeutungen erzählt, es wird beschönigt, man versucht, es rational “weg” zu erklären oder es zu verheimlichen.
Es macht Spaß, um Geheimnisse herum zu schreiben, LeserInnen irrezuführen oder sie im Ungewissen zu lassen. Als Autorin stehe ich allerdings irgendwann vor der Frage: löse ich das Geheimnis auf, gebe ich eine rationale Erklärung für das Unheimliche, belasse ich es im Fantastischen oder überlasse ich die Entscheidung den LeserInnen.
BÖS: Warum hat deiner Meinung nach Genreliteratur einen schlechten Ruf?
Britta Mühlbauer: Das erklärte Ziel von Genreliteratur war und ist es, LeserInnen zu unterhalten. Das machte und macht sie für jene zum Feindbild, für die Literatur nur dann eine Daseinsberechtigung hat, wenn sie im Sinn des jeweils aktuellen Bildungskanons “bildet”. Dabei wird übersehen, dass Genreliteratur nicht per definitionem platt, geistlos und sprachlich uninteressant sein muss. Im Lauf der vergangenen zwanzig Jahre hat sich dieses Wissen nach und nach durchgesetzt. Eine persönliche Vorliebe für Genreliteratur muss nicht mehr verschwiegen werden. Das Bekenntnis zum “Trash” ist cool geworden.
Es ist allerdings problematisch, wenn Genre-Texte allzu uninispieriert genretypische Plotmuster reproduzieren, wenn es darum geht, möglichst viele Texte in möglichst kurzer Zeit zu produzieren. Dahinter steck keine böse Absicht oder Unfähigkeit der AutorInnen, es ist für jene, die vom Schreiben leben wollen, eine ökonomische Notwendigkeit. Genreliteratur erreicht ein großes Publikum, damit lässt sich Geld verdienen.
Im Idealfall gelingt es den AutorInnen, die genretypischen Elemente so zu variieren, dass es uns LeserInnen ein doppeltes Vergnügen bereitet: Einerseits erkennen wir die vertrauten Muster wieder, andererseits werden wir durch originelle Abwandlungen überrascht und unterhalten.
Und: Genre-Literatur kann, wie im Fall der Fantastik, durchaus den Blick auf die Welt verändern oder Wissen vermitteln (vor Michael Critchons “Jurassic Park” z.B. waren Dinosaurier ein Thema für SpezialistInnen; außerdem thematisiert der Roman, wie weit der Mensch in die Natur eingreifen und sie zur Ware machen darf).
Britta Mühlbauer leitet den Online-Workshop „schauerlich & fantastisch“ am 26. Juni 2021.
Foto: Ela Angerer