Literarische Stimmen aus dem Südburgenland
Ein Rückblick von Cornelia Stahl
Eindrücke einer Lesung der GAV und Künstlerdorf Neumarkt an der Raab
Das Künstlerdorf Neumarkt an der Raab im Burgenland, Ende der 1960er Jahre vom Maler Walter Schmögner und anderen Künstlern ins Leben gerufen, steht seit vielen Jahren unter der engagierten Leitung von Petra Werkovits. Ein Ort, an dem Kreativität und Experimentierfreude lebendig werden und einen wundervollen Echoraum finden.
Jährlich pilgern Interessierte ins besagte Künstlerdorf im Südburgenland, um während der Sommerwochen unter Anleitung von ExpertInnen Material wie Speckstein, Holz, Metall zu bearbeiten oder lyrische sowie Prosatexte zu kreieren. An diesem Platz der Ruhe und Inspiration gelingen Kunstwerke in besonderer Weise und werden vor Ort präsentiert.
Einer Präsentation durfte ich am 27.7.2021 als Besucherin beiwohnen. In einem mit Reetdach gedeckten Bauernhaus, bestückt mit Bänken und einer Bühne, lasen die burgenländischen Autorinnen Karin Ivancsics und Petra Ganglbauer aus ihren Werken. Moderiert wurde der Abend von Erika Kronabitter, einer Autorin aus Vorarlberg, die zur selben Zeit eine Schreibwoche im Künstlerdorf leitete.
Karin Ivancsics gab Leseproben aus ihrem Werk „Aufzeichnungen einer Blumendiebin“ zum Besten und sprach anschließend über den Entstehungsprozess ihres Buches, das bereits 1996 veröffentlicht wurde und 2021 in einer Neubearbeitung im Wiener Klever-Verlag erschien. Ivancsics, die sich während der deutschdeutschen Wende 1989 in Berlin aufhielt und das Aufeinanderprallen der verschiedenen literarischen Strömungen hautnah miterlebte, plante ursprünglich einen Rückzug aus dem Literaturbetrieb, wie sie im Gespräch verriet. Im vorliegenden Buch spüren wir im Subtext den Sound der Aufbruchstimmung während der 1990er Jahre. In einer Übergangszeit arbeitete die Autorin im Architekturzentrum Wien, doch die Landschaft des Burgenlandes und auch die Literatur ließen sie nicht los. In einer literarischen Pause entstanden Ideen für die Neubearbeitung ihres Werkes, in dem die Protagonistin ihre Leidenschaften pflegt, die für Pflanzen, welche sie aus Gärten stiehlt oder vom Boden aufklaubt: ganze Rosensträuße, abgebrochene oder weggeworfene Pflanzen.
In inneren Monologen streift sie immer wieder die Facetten des Lebens und der Liebe. Am liebsten möchte sie nachts im Regen wie eine nasse, verlorene Hündin um die Beine der Passanten streifen. „Das Buch fällt aus dem Rahmen. Es ist aus verschiedenen Impulsen entstanden und interdisziplinär angelegt“, betont die Autorin. „Das Ende war schwer zu finden. Der Text musste eine Weile abliegen“, beschreibt Ivancsics ihren Arbeitsprozess. „Beim Verändern und Umstrukturieren besteht die Gefahr sich zu verlieren“, fügt sie hinzu.
Auf die Frage der Moderatorin Erika Kronabitter „Wann ist ein Buch zu Ende?“ entgegnet die Schriftstellerin Petra Ganglbauer: „Ein Buch ist niemals zu Ende. Das Werk ist eine Augenblickskonfiguration“. Die Autorin las im Anschluss an Karin Ivancsics aus ihrer druckfrischen Neuerscheinung „Die Tiefe der Zeit. Zwei langsame Geschichten“ (Verlag der Provinz, 2021). Beide Geschichten fokussieren die Komponenten Sicherheit und Geborgenheit. Die erste rückt die Großmuttergeborgenheit in den Mittelpunkt und ist metaphorisch angelegt. Um Entgrenzung rankt sich die Folgegeschichte sowie um den Ort des Geschehens, welches in einem therapeutischen Behandlungszimmer angesiedelt ist. Ein Raum, in dem sich eine Liebesbeziehung zwischen Klientin und Therapeut wie an einem hauchdünnen Faden entspinnt. Eine Projektion seitens der Klientin auf ihren Therapeuten, die jedoch einseitig von der zu behandelnden Person ausgeht und ihrer demenziellen Verfassung zugrunde liegt. Zwei langsame Geschichten, die sich in einem nie enden wollenden Sommer auffächern.
Mit der Lesung aus „Permafrost“ (Mitter-Verlag, 2012) präsentierte Petra Ganglbauer einen Kontrast, einen Gegenpol zur Neuerscheinung von 2021 und den eher ruhigen Texten. In „Permafrost“ erleben wir den typischen Duktus, der den meisten Texten Ganglbauers anhaftet. Konvolute, in denen das Poetische und das Politische stets eine Klammer bilden. Krise und Anklage speien Lava und Wut, treten eruptivartig ans Tageslicht. Ganglbauers Auseinandersetzung mit den Auswüchsen des Spätkapitalismus spiegelt sich in allen Texten, die stets global angelegt sind und mit einer Endzeitstimmung spielen. Die Umstellung der Erscheinungsjahre ihrer Bücher, 2012 und 2021, verknüpft Vergangenheit und Gegenwart, verweist auf aktuelle Wahrnehmungsmuster. Was wird wie medial aufbereitet? Welche Szenarien erreichen uns (noch)? Oder bewegen wir uns schon zu nah an einem möglichen Ende und sind (daher) abgestumpft? Grell, laut, expressiv überfluten uns täglich Meldungen, Bilder, Videos, Podcasts und News. Ein Flimmern und Hintergrundrauschen. Quantitativ eindeutig zu viel, resümiert Autorin.
Die Sprache wird härter, verschiebt sich auf vielen Ebenen. Die Verantwortung des Künstlers/der Künstlerin wächst, genauer hinzusehen und Worte achtsam zu verwenden. Verwortung – Verantwortung. Verantwortung übernehmen für das geschriebene und das gesprochene Wort. Die Hoffnung auf einen Richtungswechsel bleibt allgegenwärtig.
Nach Ende der Lesung klang der stimmungsvolle Abend bei Brot und Wein aus. Mit einem guten burgenländischen Tropfen im Glas entwickelten sich vertrauensvolle Gespräche zwischen Kursteilnehmenden und Autorinnen und legten Spuren für künftige Kooperationen. Ein großer Dank gilt insbesondere den Organisatorinnen Karin Ivancsics und Petra Werkovits, die diesen wertvollen Abend ermöglichten.