Muttermilch – Melissa Broder
Eine Rezension von Barbara Rieger
Broders Protagonistin Rachel ist vierundzwanzig, arbeitet in einer Talentmanagement-Firma in Los Angeles und tritt als Comedian auf. Sie hält sich strikt an selbst auferlegte Ernährungs- und Bewegungsregeln, mit denen sie Kalorienzufuhr und ‑verbrauch kontrollieren und ihr Gewicht halten kann. Sie liebt es zu essen, hat aber den Wunsch ihrer Mutter nach einer dünnen Tochter zu ihrem eigenen gemacht. Doch da auch das Dünnsein nicht die Liebe der Mutter evoziert, folgt Rachel dem Rat ihrer Therapeutin, den Kontakt zumindest für 90 Tage zu unterbrechen. Weiterhin sucht sie nach (mütterlicher) Anerkennung bei der älteren Bürokollegin Ana, von der sie sich auch sexuell angezogen fühlt. Doch erst als sie in ihrem Lieblings-Frozen-Yoghurt-Laden auf die orthodoxe Jüdin Miriam trifft, gibt sie ihrem Begehren und ihrem Hunger nach. Miriam ist alles andere als dünn und verführt Rachel nicht nur zu Essensgelagen, sondern lässt sich auch von Rachel verführen. Die beiden erleben eine gemeinsame Zeit der Verbundenheit und Lust, die zwar wieder zu Ende geht, die aber Rachel hilft, sich von ihrem zwanghaften Essensverhalten zu befreien und den eigenen Gefühlen näher zu kommen. Auch dass die Bürokollegin am Ende dazu beiträgt, dass Rachel ihren Job verliert, ist für Rachel nur ein Schritt in die richtige Richtung, nämlich zu sich selbst.
Präzise und mit einer Portion Komik schildert Melissa Broder anhand ihrer Hauptfigur die Zusammenhänge von Hunger, Hungern, Lust und Liebe. Nebenbei gibt sie Einblicke in die Unterhaltungsbranche sowie in die Lebenswelten des orthodoxen Judentums. Lange und detaillierte imaginierte und reale Essens- und Sexszenen geben offenen Einblick in weibliches Begehren und stellten vermutlich auch für die Übersetzerin eine Herausforderung dar. Dialoge, Traumszenen, wenige kurze philosophische Passagen und einige eingestreute Lexikoneinträge sorgen innerhalb der Dramaturgie zusätzlich für Abwechslung. Ein mutiger, spannender und vielschichtiger Roman!
Barbara Rieger, im August 2021
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich.
Melissa Broder: Muttermilch
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Karen Gerwig
Claassen 2021
327 Seiten
24,70 EURO
ISBN: 9783546100069
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