Episch! 2
Zwei Texte von Martin Votzi
Dialog: Du? Ja!
Ihre Finger berühren die Türklinke kaum. Sie spürt das kalte Metall und zuckt zurück. Soll sie ihn stören? Wobei eigentlich? Er wird in sein Notebook starren, ab und zu die Maus bewegen, innehalten. Es muss heute sein, jetzt. Sie öffnet die Tür einen Spalt und haucht hinein: Du?
Keine Antwort. Sie schiebt die Türe weiter auf, sieht, wie er das Notebook hastig zuklappt.
Er dreht sich in seinem Bürostuhl zu ihr, im Halbdunkel kann sie seinen Gesichtsausdruck nicht deuten.
Sein Ja! klingt schroff.
Hast du Zeit? Sie tritt in das kleine Zimmer.
Hm, ein wenig. Er lehnt sich zurück und sieht sie an.
Oder soll ich später?
Passt schon. Wird ja nicht so lange dauern, oder?
Nein, glaube ich nicht.
Na, dann los.
Pause. Das Licht der Schreibtischlampe wirft einen Kegel auf das zugeklappte Notebook. Warum hat er es so schnell geschlossen? Was soll sie nicht wissen?
Bist du eh in guter Stimmung? Ihre Stimme zittert.
Warum?
Weil das wichtig wäre.
Wofür?
Diese Ablehnung. Aus dem Halbdunkel wirft er seine kurzen Antworten auf sie.
Wie kann sie die Geschosse abwehren? Am liebsten würde sie kehrt machen, die Türe wieder schließen, von außen.
Gute Stimmung, gute Stimmung. Was meinst du damit, hört sie.
Und dann:
Langsam wird’s mühsam.
Das siehst du’s, sagt sie. Er muss es doch auch bemerken.
Das nächste Geschoss: Was?
Den Rückzug antreten, ja den Rückzug antreten. Ihm erklären, dass es nicht passt.
Deine Stimmung ist nicht die Beste.
Aha. Das willst du also wissen.
Hör dir doch selbst zu.
Er richtet sich auf und drückt die Lehne wieder nach hinten.
Also bitte, fang doch jetzt an.
Warum hört er nicht auf, hin und her zu schwingen? Wie ein Chef, er verhält sich wie ein Chef, denkt sie. So herablassend jovial.
Sonst wird’s mühsam? Wolltest du das schon wieder sagen?
Sie atmet tief ein und hält die Luft an. Sei mutig, sei mutig. Fast hätte sie es laut gesagt.
Für dieses Thema musst du aber gut drauf sein.
Hast du schon gesagt. Bin ich.
Er dreht sich in seinem Bürostuhl weg. Beugt sich nach vorne und stützt die Arme auf seine Oberschenkel. Gleich wird er aufstehen. Und dann?
Schade. Du müsstest doch nur offen sein für das Gespräch.
Für welches? Das Thema, bitte
Ich trau mich jetzt nicht mehr.
Ist es so schlimm?
Schlimm? Er redet mit mir wie mit einem Kind, denkt sie.
Du wirst böse werden, wenn ich anfange.
Bist du eine Hellseherin?
Dieser Spott. Früher hatte sie ihn witzig gefunden, ironisch.
Ich kenne dich, presst sie heraus.
Mir reicht’s jetzt. Entweder du fängst jetzt an …
Warum tut sie das? Sie streckt ihm ihre Hände entgegen.
Wozu, sagt er. Seine Arme sind verschränkt.
Wegen der Stimmung. Damit wir uns spüren.
Er rührt sich nicht, schnaubt durch die Nase.
Gut, geben wir uns die Hände.
Sie spürt den kalten Schweiß auf seinen Handflächen, würde sie am liebsten wieder loslassen.
Fang endlich an, befiehlt er.
Ohne Titel
Treffen wir uns bitte.
Sie hatte seine Nummer gelöscht, aber er offensichtlich nicht die ihre.
Ihre Hand zittert, als sie es liest.
Was heißt lesen? Die gleiche Nachricht sendet er seit einer Woche.
Begonnen hat es mit „Verzeih mir“, „Gib mir noch eine Chance“, „ich kann mich nicht von dir entlieben“.
Entlieben. Was für ein Wort? Kann er nicht einfach schreiben, dass er sie immer noch liebt.
Typisch Kai. Wenn Gefühle, dann gefiltert, dann eine verschrobene Formulierung.
Keine zwei Monate ist es her. Dieser denkwürdige Abend. Denkwürdig? Nein, dramatisch.
Im Grund wollte sie mit ihm darüber reden, dass ihr Schwangerschaftstest positiv war. Aber es ging nicht. Zum Schluss, als er sie angeschrien hatte, sie solle endlich zu reden beginnen, sagte sie, dass sie ihn verlassen werde. Zu ihrer eigenen Überraschung. Das hatte sie nicht vorgehabt. Das war nicht geplant. Und doch war es richtig. Sie hatte unmittelbar danach die Tür zu seinem Zimmer geschlossen, seine Antwort blieb im Raum, in seinem Raum. Endlich vorbei, war ihr erster Gedanke gewesen. Dann hatte sie sich auf den Holzboden gesetzt und zu weinen begonnen. Leise. Er sollte es nicht hören. Beruhige dich, beginne zu singen, treffe dich mit Anna. Erzähl ihr alles. In den nächsten Tagen wirst du bei ihr wohnen können. Er kam heraus. Bit du noch immer da? War es das, was du mir sagen wolltest? Wenn ich wiederkomme, bist du weg. Er verschwand ins Vorzimmer. Kurz danach knallte er die Wohnungstür zu. Den Koffer und die Tasche. Mehr hatte sie nicht, um ihre Sachen einzupacken. Es würde nicht reichen. Das Geschirr, Töpfe Pfannen, Besteck. Das alles hatte sie mitgebracht. Die Bücher und die beiden Gemälde, abstrakt. Starke Farben. Er hatte es als Krixi-kraxi bezeichnet. Sie blieb am Boden sitzen, als wäre sie dort angeschraubt worden. Die Tränen wollten
nicht aufhören, ihre Wangen hinunter zu rinnen. Sie wischte sie nicht weg.
Gleich zu Beginn hatte er ihr erzählt, dass er ein Einzelkind sei. Ein Alarmzeichen. Doch sie hatte ihn dafür beneidet, als eines von fünf Kindern, genau in der Mitte. Nie wieder ein Einzelkind als Partner. Und nie wieder einen Skorpion. Sein Spruch war, einen Skorpion vergisst man nie.
Und jetzt? Er bettelt sie an, will sie wiedersehen, will vielleicht, dass alles so wird wie zuvor. Das Kind ist längst weg. Wie hätte sie es auch bekommen sollen, von einem Partner, der sie soeben verlassen hatte. Nur Anna weiß davon. Wie hätte er reagiert, wenn sie ihm vom Kind erzählt hätte. Wie wohl? Du nimmst doch die Pille. Das ist Absicht. Oder doch anders? Überrascht aber liebevoll, gar freudig? Wohl kaum.
Körperlich hatte es gut funktioniert, im ersten Jahr. Fesch war er schon. Und blitzgescheit. Sie war auch stolz auf ihn. Der großgewachsene blonde Deutsche, gutes Einkommen, schnell im Mittelpunkt einer Runde.
Ihre Mutter hatte oft erzählt, dass man mit den Männern nur diplomatisch umgehen müsste. Dann könnte man alles haben. Vermutlich hat sie recht. Man kann niemanden dazu zwingen, sein Herz zu öffnen, von seinen Gefühlen zu erzählen. Doch sie hätte es ihm leichter machen können. Im Bett, nach dem Sex. Ihm ins Ohr flöten. Was denkst du jetzt?
Nein falsch. Das darf man nicht fragen. Vor allem nicht ihn.
Das Handy piepst wieder. Bitte, mein Leben ist im Arsch ohne dich. Noch heute. Sagen wir um 10 im Rochus. Seine Wohnung liegt keine hundert Meter entfernt. Er macht es sich einfach. Was soll das heißen, sein Leben sei im Arsch. Vielleicht geht es ihm wirklich so schlecht. Wird er sich ändern können? Nein, die Beziehung ist vorbei, gleich ob er sich ändert oder nicht. Aber was wäre schon dabei, ihn zu treffen. Gut auch für sie. Um es abzuschließen, um sich zu versöhnen. Einfach versöhnen, Freunde bleiben. Aber auch nicht mehr.
Sie tippt ins Handy: ok, im Rochus. Senden.
Die Texte von Martin Votzi sind im Workshop „Epik“ von Erika Kronabitter entstanden.