Märchenverdrehen 3
Texte von Tamara Imlinger
Im Wald
Bist du immer noch hier, sagt der Wald.
Du hilfst zu ihm, oder?, fragt das Mädchen.
Was willst du denn von ihm?
Er ist böse.
Was hat er getan?, fragt der Wald.
Schon die Oma von der Oma hat das gesagt.
Und deswegen stimmt es?
Hat er sich hinter den Bäumen versteckt?, fragt das Mädchen.
Der Wolf ist nicht böse, sagt der Wald.
Wie?, sagt das Mädchen, schaut zu Boden und stampft auf eine bemooste Fläche.
Was heißt denn das überhaupt –
Das Moos richtet sich wieder auf.
‘Böse’?, sagt der Wald.
Er ist einfach nicht gut!
Hat das deine Oma so erzählt?
Ja, und –
Du glaubst ihr?
Ich habe das selber auch schon erlebt.
Wirklich?
Er hat sich angeschlichen.
Und dann?
Habe ich die Oma angerufen.
Wie spät war es denn?
Am Abend, Dämmerung, sie hat nicht abgehoben.
Okay.
Sag einmal, sagt das Mädchen.
Ja, sagt der Wald.
Was bedeutet denn ‘böse’ für dich?
Der Wald nickt.
Oder ‘gut’?, fragt das Mädchen.
Hans im Glück
Hans im KZ hat
Arbeit, Essen, Macht gegen
die Front eingetauscht
Im Eis
Die Eiskönigin streichelt den Elefanten. Die beiden spazieren durch das Dorf, wie jeden Morgen. Nur einmal im Jahr, an dem einen Tag im Jahr, an dem Schnee fällt, bleibt der Elefant im Stall und die Infrarotlampen werden für ihn eingeschalten. Dann holt die Königin statt dem Elefanten für den Spaziergang den Eisbären aus der Gefrierhalle, mit der der ganze Ort unterkellert ist. In der Nacht bringt sie den Bären wieder nach unten, steigt in die Videokonferenz mit ihren fünf Enkelkindern ein und erzählt, dass alles noch einmal gut gegangen ist. Dann legt sie sich schlafen. Die Enkelkinder rufen die Verlegerin an, die die gesammelten Geschichten ihrer Oma herausbringen wird. Sie brauchen noch Zeit für eine Überarbeitungsschleife.
Die Texte von Tamara Imlinger sind in Katja Renzlers Schreibworkshop „Märchenverdrehen“ entstanden.