Tag des Tagebuchs
Texte von Mitgliedern des BÖS-Teams
Anne Frank bekam an ihrem 13. Geburtstag am 12. Juni 1942 ein Tagebuch geschenkt. Was danach kam, ist buchstäblich Geschichte. Und wert, dem Tagebuch als Medium für den Selbstausdruck einen ganzen Tag zu widmen. Wir haben auch geschrieben.
Tina Bader
„Schon wieder so lange nichts aufgeschrieben!!“ Das ist sinngemäß vermutlich der häufigste Satz in meinen Tagebüchern. Begonnen habe ich mein erstes am 16.1.1971 – kurz vorher 14 Jahre alt geworden. Es existiert also noch: Kein schönes Mädchentagebuch mit Schlüssel, nein, ein gebrauchtes, nicht vollgeschriebenes Schulheft im DIN-A5-Format war es. Hätte ich mir ein „richtiges“ gewünscht (und bekommen), wäre meine Mutter ja auf die Idee gekommen, darin zu lesen. Doch natürlich sollte es geheim sein. Manche Passagen sind sogar in einer selbst erfundenen Zeichensprache geschrieben, in Symbolen, die ein bisschen wie vereinfachte Hieroglyphen aussehen. Versteckt habe ich es auf einer Ablage in meinem Schreibtisch in einem Hohlraum unterhalb der Tischplatte und oberhalb der beiden Schubladen.
Zwischen dem Festhalten von Schulnoten finde ich Alltagserlebnisse, erste Schwärmereien für Jungs, Beschwerden über meine Mutter … In Ermangelung einer Gesprächspartnerin diente es mir in erster Linie dazu, Dampf abzulassen und als Kummerkasten. Zwar hatte ich eine Freundin, doch meine wahren Sorgen vertraute ich ihr nicht an, außerdem war ich als Fahrschülerin, brave Tochter und Nesthäkchen doch etwas isoliert. Und geschrieben habe ich offensichtlich immer schon gern.
Mehr oder weniger regelmäßig behielt ich das Tagebuchschreiben bis heute bei, allerdings mit klaffenden Lücken dazwischen. Dafür habe ich für alle drei Kinder Tagebücher angelegt, die ich ihnen jeweils zum 18. Geburtstag überreicht habe. Aus Zeitmangel sind sie leider mit jedem Kind dürftiger ausgefallen. Der Versuchung, im zufällig hinter dem Heizkörper in ihrem Zimmer versteckten Tagebuch meiner damals 15- bis 16-jährigen Tochter zu lesen, habe ich zum Glück widerstanden. Zu groß wäre der Vertrauensverlust gewesen.
Auffallend ist, dass ich lange Zeit beinahe nur Belastendes notiert habe, wohl um es mir von der Seele zu schreiben. Erst in den letzten Jahren finden sich auch Erfolgserlebnisse oder der Ausdruck kleiner und großer Freuden darin. Von täglichen Einträgen bin ich immer noch weit entfernt – und halte dies auch nicht für nötig. Oder bin ich einfach zu inkonsequent? Was ich noch nicht geschafft habe: Sämtliche Hefte durchzulesen und ein Resümee zu ziehen.
Claudia Dabringer
Liebes Tagebuch,
manchmal tust Du mir wirklich leid. Deine Schönheit in rotem Plüsch und schwerem Papier verdient Opulenz, im Guten, Vollen, Optimistischen. Doch stattdessen ziehst du Gedanken an, die wie Blutspuren aufgesaugt werden und bleiben. Zumindest bis zur letzten Seite, wenn das letzte Wort des Tages hingefuzelt wird, damit ich nicht mit einem Halbsatz das neue Buch beginnen muss.
Du hältst viel aus, mehr als jeder Freund, jede Therapeutin. Du bist geduldig, wo andere schon längst mit dem Kopf gegen die Wand gelaufen wären. Du bringst mich dazu, so lange zu schreiben, bis ich zufrieden bin. Weil Du ohne Ende aufnahmefähig bist. Damit gibst Du mir die einzigartige Chance, meine Gedanken zu entwirren, sie zu sortieren und in eine Kette von Abläufen zu bringen, die mein Leben wieder einfängt.
Es gibt viele Ausgaben von Dir, die überall in meinem Haus verstreut lagern. Manchmal fällt mir eine in die Hände, und ich streiche über Deine Haut, bevor ich Dich öffne. Nur für einen Blick auf das Datum. Das reicht meistens schon, um mich in eine Zeit vor der Zeit zurückzurufen. Will ich das hören? Nein. Deshalb schiebe ich Dich wieder dorthin, wo Du in Frieden ruhen kannst. Manchmal denke ich, dass ich Dich auch verbrennen könnte, weil die vergangenen Gedanken gegenwärtig ihren Sinn verloren haben und meine Schrift ohnehin keiner lesen kann. Doch dann fällt mir das Loslassen dessen schwer, was damit auch verbrennen würde, was mich heute ausmacht. Denn Du erinnerst mich daran, welchen Weg ich hinter mich gebracht habe, welche Entwicklung bewältigt wurde. Und dafür kann ich Dir nicht genug danken.
Herzlich, C.
Brigitta Höpler
ALLTAGE
Tägliches Schreiben als Welterfahrung,
nicht als Selbsterfahrung.
Alltage, Orte, Worte – mein Schreibprojekt.
Für mich selbst und andere.
Ein Netz aus Worten, das Orte und Menschen,
Erinnerungen und Beobachtungen miteinander verbindet.
Alltage – das sind all die Tage und das, was wir Alltag nennen,
das tägliche Einerlei, vielleicht auch das tägliche Vielerlei
und über allem das weite, unendliche All.
Mit meinen Texten schreibe ich einen Raum,
in dem ich jederzeit zu Hause bin.