Eine gute Rezen­sion zieht in den Text

Ein Inter­view mit Cornelia Stahl

Primär einen Text nach­zu­er­zählen, geht am Sinn einer Rezen­sion vorbei. Viel­mehr darf ein roter Faden, aber auch persön­liche Rück­schlüsse des Rezen­sie­renden nicht fehlen, sagt Cornelia Stahl im Interview.

BÖS: Warum sind Rezen­sionen hilf­reich, obwohl sich LeserIn und Rezen­sentIn häufig gar nicht kennen?

Cornelia Stahl: Rezen­sionen sollten in erster Linie Neugierde wecken. Zunächst auf das Thema, das im Roman, Sach­buch oder auch Kinder- oder Jugend­buch verhan­delt wird.
Und dann inter­es­siert den Leser/die Leserin, wie das Thema erzählt wird, welche Figuren im Fokus stehen, und in welcher Zeit wir uns im vorlie­genden Werk befinden.
Der Rezensent/die Rezen­sentin trifft eine Art Vorse­lek­tion: Für welche Ziel­gruppe ist das Medium geeignet? Für Kinder­gar­ten­kinder, Kinder in der Volks­schule? Ist der Roman für Jugend­liche geeignet? Und wenn ja, für welches Alter? Oder eher für Erwach­sene?
Der/die Lesende verlässt sich auf den kompe­tenten, geschulten Blick des Rezensenten/der Rezen­sentin, wenn es um die Auswahl eines geeig­neten Mediums für die jewei­lige Ziel­gruppe geht.

BÖS: Welche Rezen­sionen sind nutzlos?

Cornelia Stahl: Rezen­sionen, die primär den Inhalt des Buches nach­er­zählen, sind weniger hilf­reich, denn der/die Lesende möchte Infor­ma­tionen zur sprach­li­chen Gestal­tung des Textes erhalten. Wird das Thema eher wissen­schaft­lich aufbe­reitet? Erzählt der Romanautor/die Roman­au­torin in authen­ti­schen Dialogen. Verwendet er/sie eine bild­reiche Sprache?
Rezen­sionen, die von der Unfä­hig­keit des Autors/der Autorin spre­chen, unglaub­wür­digen Dialogen und der Lang­at­mig­keit, erfreuen den/die Lesenden eher wenig und tragen nicht dazu bei, das Buch kritisch zu bespre­chen. Kritik sollte sach­lich formu­liert werden.

BÖS: Was macht eine gute Rezen­sion aus?

Cornelia Stahl: Eine gute Rezen­sion zieht mich von Anfang an in den Text (das gilt für alle Text­an­fänge). Das Anspruchs­volle ist natür­lich, diese Span­nung bis zum Ende zu halten. Aber jede Bespre­chung wird indi­vi­duell gestaltet, erlaubt mitunter Rück­schlüsse auf den Verfasser/die Verfas­serin der Rezen­sion. Persön­liche Bezugs­punkte beleben den Text.
Ein roter Faden, mit dem der Rezensent/die Rezen­sentin die wich­tigsten Para­meter im Auge behält, ist unab­dingbar: Welches Thema wird im Buch verhan­delt? Wie ist es aufge­baut (Kapi­tel­ein­tei­lung). Welche Figuren stehen im Mittel­punkt? In welche Zeit setzt der Autor/die Autorin die Figuren? Mit welchen Problemen ringen die Figuren? Auf welche sprach­li­chen Beson­der­heiten treffen wir? Arbeitet der Autor/die Autorin inter­tex­tuell?
Am Ende der Rezen­sion stehen kriti­sche Anmer­kungen, eigene Lese­ein­drücke und eine Empfeh­lung. Wichtig sind einige Details zur Autor:innenbiografie. Knüpft der Autor/die Autorin an bishe­rige Veröf­fent­li­chungen an oder wird mit der Neuerschei­nung ein völlig neues Thema bear­beitet? In welchem Kontext, in welcher Rela­tion steht das Buch zu gegen­wär­tigen Diskus­si­ons­fel­dern wie Klima­wandel, Femi­nismus, Empower­ment, kollek­tive Trau­mata, Digi­ta­lität und Identität?

 

Der Schreib­work­shop „Rezen­sionen schreiben“ mit Cornelia Stahl findet am 7. Januar 2024 statt.