Was ich zurückließ – Marco Ott
Eine Rezension von Tobias March
„Unsere Geschichte ist die Geschichte einer Entfremdung. Es ist auch die Geschichte meines Wandels. Und die Geschichte meines Wandels ist die Geschichte einer Anpassung.“ (S. 121)
Der junge Ich-Erzähler beginnt damit, seine Familiengeschichte zu erzählen. Mit Wörtern wie Apfelschorleflaschen (S. 7), Edeka-Filiale (S. 14), Gerhard Schröder, Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und Harz IV (S. 20) wird bald am Anfang des Romanes klar, dass die Geschichte in Deutschland in der Gegenwart spielt. Die Familie des Ich-Erzählers hat einen orangefarbenen Nissan Micra, ein nicht zu übersehendes Auto, das niemand haben wollte und das deshalb so günstig war (Vgl. S. 9 und 10). Armut zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman, wobei die Lebensgeschichte des Protagonisten ungeschönt, nicht mitleidserhaschend erzählt wird. Der Junge bekommt als Jause in die Schule immer Pferderandsalamibrote mit. Wenn es was zu feiern gibt, dann geht die Familie zum chinesischen All-you-can-eat-Buffet und es wird so lange gegessen, bis man sich sicher ist, dass der Preis des Buffets den konsumierten Lebensmitteln entspricht. Die Schule ist ihm egal, er schließt sich der Clique an, die Lernen boykottiert und uncool findet, da die Jugendlichen wissen, dass ihre Zukunft finster aussehen wird. Schlussendlich schafft er es aber dann doch, in die Oberstufe zu rutschen, denn die Biologielehrerin Frau Burke gibt ihm eine Drei als Note ins Zeugnis.
Für seine Kleidung und die kleine Sozialwohnung schämt sich der Jugendliche sehr. „Mit sechzehn habe ich es dann verstanden. Als meine neuen Freunde aus der Oberstufe mich mit dem Auto abholen wollten, habe ich eine fremde Adresse angegeben und in einer Seitenstraße mit Doppelhaushälften gewartet.“ (S. 30). Es folgt eine lange Suche nach der eigenen Bestimmung. Er hangelt sich vom Traum, Filmregisseur zu werden, zum Traum Fotograf, dann zum Traum Buchautor und schließlich zum Studium der „Vergleichenden Literaturwissenschaften“. Und immer ist er nebenbei am Arbeiten, sei es als Kurier oder als Bühnenbauer.
Ein Buch über Entfremdung, „Befreiung“ und über die Suche nach Sinn, nach Erfüllung, nach einer Beziehung zu den Eltern und über Kapital. Dass Bildung auch Kapital ist, wird in diesem Buch klar.
Tobias March, Juni 2024
Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich.
Marco Ott: Was ich zurückließ
Neu-Isenburg: Edition W 2024
124 Seiten
20,60 EUR
ISBN: 978–3‑949671–11‑1
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