Kleine Schule des Fliegens – Christina Walker
Eine Rezension von Tobias Thomas March
Der Ich-Erzähler, Alexander Höch, ist sich im eigenen Körper fremd. Nach einer Chemotherapie wird er von seiner Frau Eva vorübergehend in die Wohnung seines Bruders Georg einquartiert. Ihre alte Wohnung wird nämlich renoviert. Also muss der Protagonist in der Wohnung des ständig reisenden Bruders Platz nehmen. „Denn in einer Baustelle sei mein angeschlagenes Immunsystem heillos überfordert.“, meinte die Frau des Protagonisten, Eva. (S.13). Doch Alexander Höch gefällt die Wohnung nicht. Sie ist zu leer und kalt, alles scheint geputzt zu sein. Melitta Miller, die Haushälterin des Bruders, kommt immer mal wieder zu Besuch. Wie auch die Krähen. Sie siedeln sich vor der Wohnung in einer großen Platane an und ziehen den Protagonisten magisch in ihren Bann. Zwar nerven ihn die Krächzer, aber in seiner Fremdheit im eigenen Körper ist er den Krähen, die hier versuchen, ein Nest aufzubauen und sich auch fremd fühlen, vertraut.
Melitta Miller ist da jedoch ganz anderer Meinung: „Wenn sie sich erst angesiedelt haben, wird man Saatkrähen nicht mehr los.“ (S.27) Sie stellt sich als große Krähenfeindin heraus, die mit allen Methoden bestrebt ist, die Tiere zu vergrämen: Ein Vogelschreckballon, laut in die Hände klatschen, ein Revolver mit Schreckschussmunition, silberfarbige Spiralen, ein bellender Hund und ein Ultraschallgerät – Melitta Miller lässt nichts unversucht, um die Vögel zu verjagen.
Eva, Alexanders Frau, ist als Romanfigur durch Abwesenheit gekennzeichnet. Er vermisst sie schon und träumt dann auch von ihr: „Ich vergrub mein Gesicht an ihrem Hals, spürte ihre Brüste an meinem knochigen Körper und konnte beim besten Willen nicht mehr feststellen, wem welche Arme und Beine gehörten.“ (S.57)
Der Protagonist ist einsam und wird immer mehr in den Kampf der Melitta Miller mit ihren Verbündeten gegen die Krähen hineingezogen. Denn es gibt auch noch jemand für alle Unbekanntes, der die Krähen unterstützt und unbedingt möchte, dass sich die Krähen ansiedeln: „Unten auf dem Gehweg stand jemand in einem weiten, pelerinenartigen Mantel. Die Krähen flatterten um die dunkle Gestalt, die etwas in die Luft warf.“ (S.73) Der Kampf gegen die Krähen verschärft sich: „Nach jeder Vergrämung kamen sie wieder, als wäre diese Platane der einzige Platz, dem sie trotz allem vertrauten, der einzige große Baum in der Stadt, der für ihre Krähennester taugte.“ (S.84)
Am Ende des Romanes kommt es zu einem fieberhaften Höhepunkt und einer überraschenden Wendung. Die „Kleine Schule des Fliegens“ von Christina Walker ist ein Roman, der immer wieder mit klitzekleinen biologischen Exkursen und Worterklärungen durchbrochen ist und von Fremdsein und Ausgrenzung handelt.
Mit dem Beginn des Romans gewann Christina Walker 2020 den Schwäbischen Literaturpreis.
Das Buch war nominiert für den Österreichischen Buchpreis 2023
Tobias Thomas March, November 2024
Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich.
Christina Walker: Kleine Schule des Fliegens
Wien: Braumüller Verlag 2023
208 Seiten
22 EUR
ISBN-13: 978–3‑99200–342‑6
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